Interview

Im Gespräch

mit Dr. Dirk Wernicke, Geschäftsführer der Gesellschaft

Herr Dr. Wernicke: Das erste Jahr als Geschäftsführer der Stadtwerke Flensburg liegt hinter Ihnen. Wie haben Sie es erlebt und was hat die Stadtwerke am meisten bewegt?

Dr. Dirk Wernicke: Mein Einstieg bei den Stadtwerken erfolgte leider unter Corona-Bedingungen: Viele Beschäftigte waren im Homeoffice, sodass ein persönliches Kennenlernen erst später stattfinden konnte. Der Austausch fand bis dahin meist über Video- oder Telefonkonferenzen statt. Auch das Kennenlernen in der Stadt zog sich angesichts der verschiedenen Lockdowns immer wieder hin. Es gab keine Termine in den Firmen und keine Veranstaltungen, auf denen man sich treffen und kennenlernen konnte. Aber nun sieht es danach aus, dass wir
zu einer gewissen Normalität zurückkehren können.

Im ersten Halbjahr 2021 war ein Schwerpunkt meiner Arbeit der große Strategieprozess: Mit der neuen Strategie „SWFL 21.x: Kurs grün + digital“ positioneren sich die Stadtwerke Flensburg für die 2020er Jahre. Wesentliche
Ziele sind die Transformation unseres Energiesystems hin zur Klimaneutralität und die Digitalisierung auf Basis einer eigenen Digitalisierungsstrategie.

Die Erarbeitung der neuen Strategie startete Anfang 2021 mit dem Aufsichtsrat und der Gesellschafterversammlung und sie wurde am 19. August 2021 durch die Ratsversammlung der Stadt Flensburg verabschiedet.

Die sehr anspruchsvolle Entwicklung der Energiemärkte in der zweiten Jahreshälfte 2021 mit historischen Höchstständen bei den Beschaffungspreisen für Erdgas, Strom, Kohle und CO2-Zertifikate und entsprechenden Auswirkungen auf die Energiepreise für die Kunden, stellen ganz besondere Herausforderungen für einen neuen Geschäftsführer dar: Wir haben die Stadtwerke letztes Jahr wetterfest gemacht und steuern das Schiff Stadtwerke Flensburg derzeit mit ruhiger Hand durch schwere See.

Welches Ergebnis haben die Stadtwerke Flensburg erzielt?

Dr. Dirk Wernicke: Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals derartige Preissteigerungen an den Beschaffungsmärkten wie die seit Mitte 2021 gesehen zu haben. Die ohnehin schon hohen Preise für Strom und Rohstoffe gingen Ende letzten Jahres noch weiter nach oben: CO2-Zertifikate um 35 Prozent, Erdgas um 43 Prozent, Kohle um 7 Prozent und Strom um 48 Prozent. Diese Größenordnungen konnte kein Energieversorger in seiner Planung für das Jahr 2021 vorhersehen. Die Märkte haben sich komplett anders entwickelt als geplant.

Solche Extremsituationen zeigen auch Schwächen auf. Wir haben diesen Stresstest als Chance verstanden und die Beschaffungsstrategie sowie die damit verbundenen Prozesse überarbeitet und an die geänderten
Rahmenbedingungen angepasst. Den historischen Preisanstieg an den Energiemärkten haben wir nicht 1:1 an unsere Kunden weitergegeben und unsere Fernwärmepreise bewusst nicht so stark angehoben, wie es die Ko-
stensituation erfordert hätte und auf Gewinn verzichtet. Auch die Stadt Flensburg hat auf die Gewinnausschüttung verzichtet. Insgesamt spiegelt sich das im Geschäftsergebnis der Stadtwerke Flensburg wider.

Mit 1,9 Millionen Euro liegt das Ergebnis nach Steuern im einstelligen positiven Bereich, aber unter dem ursprünglichen zweistelligen Plan.

Im Rahmen der strategischen Neuausrichtung fokussieren Sie sich auf die Handlungsfelder Kunde, Dekarbonisierung und Digitalisierung. Können Sie konkreter werden?

Dr. Dirk Wernicke: Kunde, Kunde, Kunde. Das steht bei uns im Vordergrund – regional wie bundesweit. Wirvnutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung, um unseren Service und das Kundenerlebnis weiter zu verbessern. Zudem arbeiten wir an weiteren Produkten rund um die Kilowattstunde. Auf unserer Homepage finden Sie zum Beispiel seit kurzem ein Angebot für die Wallbox zu Hause. Und unsere Homepage haben wir im zweiten Quartal 2022 komplett neugestaltet und optimiert.

In den 2020er Jahren gehen wir zudem auf Basis unserer Strategie „SWFL 21.x: Kurs grün + digital“ zwei weitere Handlungsfelder an: Dekarbonisierung und Digitalisierung.

Die Lebenswirklichkeit unserer Kundinnen und Kunden ist zunehmend digital. Viele Menschen organisieren sich per Smartphone, bestellen online, abonnieren Streaminganbieter, chatten in den sozialen Medien. Mit der Digitalisierung unserer Kundenbeziehung greifen wir das auf und werden unsere Kundinnen und Kunden dabei mitnehmen.

Wir werden unser aktives Kundenmanagement für Bestands- und Neukunden auf der Basis einer Analyse der Kunden-Bedürfnisse ausbauen und digital gestalten. Dabei sind eCommerce und Datennutzung die Schlüssel zu Neukundengewinnung und Kundenbindung.

Welchen Stellenwert hat für Sie die Dekarbonsierung?

Dr. Dirk Wernicke: Der Krieg in der Ukraine hat ohne Wenn und Aber die Dekarbonisierung bzw. den Umstieg auf erneuerbare Energien noch dringender gemacht: Es reicht nicht mehr, die CO2-Emissionen zu reduzieren, sondern Deutschland muss möglichst schnell unabhängig von Energieimporten werden. Das funktioniert nur mit erneuerbaren Energien.

Auf Basis unserer Strategie wollen wir das umsetzen und die Klimaneutralität möglichst vor den zeitlichen Vorgaben des jeweils aktuellen Klimaschutzgesetzes erreichen. Mit einer Fernwärmeabdeckung von 98 Prozent haben die Stadtwerke hier einen Riesenhebel, um die Klimaneutralität zu erreichen.

Wir planen jetzt konkret die Schritte zur Klimaneutralität und werden 2022 den Transformationspfad dazu mit Einbindung der Stakeholder, unserer Stadt, konkretisieren. Neben der Fertigstellung von „Kessel 13“ werden wir einen zweiten Wärmespeicher und einen weiteren Elektrodenheizkessel bauen und in Betrieb nehmen. Als nächste Bausteine unseres Erzeugungskonzeptes setzen wir auf Großwärmepumpen. Neben den Erzeugungsanlagen gilt es zudem, auch die Optimierung unserer Fernwärmenetze in den Blick zu nehmen und dazu das „Bundesförderprogramm Effiziente Wärmenetze“ zu nutzen. Klar ist: Neubauten von fossilbefeuerten Kraftwerksanlagen wird es nach Fertigstellung von „Kessel 13“ von uns nicht mehr geben.

Der Umbau des Energiesystems ist nicht umsonst: Wir werden in den kommenden zwanzig Jahren viel investieren müssen. Unser Ziel ist es, dabei die Energiekosten für die Bürgerinnen und Bürger auf einem moderaten Niveau zu halten und den Umbau der Erzeugung so sozialverträglich wie möglich umzusetzen.

Das ist eine Riesenaufgabe. Und dazu noch die Digitalisierung?

Dr. Dirk Wernicke: In unserer Heimatregion sind wir Infrastrukturdienstleister. Nicht nur für Energie und Wasser, sondern auch für die digitale Infrastruktur. Dazu bauen wir das Glasfasernetz in und um Flensburg auf. Mehr als die Hälfte der vorgesehenen Ausbaugebiete sind fertiggestellt. Der Rest folgt bis Mitte der 2020er Jahre. In Summe investieren wir hier auch einen dreistelligen Millionenbetrag.

Zum 01. Januar 2022 haben wir den neuen Geschäftsbereich Digitalisierung gegründet, der als digitales Kompetenzzentrum mit Querschnittsfunktion unsere Systemlandschaft betreiben und immer auf dem aktuellsten Stand halten wird. Als erstes entwickeln wir dazu eine eigene Digitalisierungsstrategie für die nächsten fünf Jahre. Ziel ist, unsere Kundenschnittstelle noch wettbewerbsfähiger zu gestalten, aber auch unsere betrieblichen Prozesse in allen Bereichen mit digitalen Instrumenten und Technologien zu verbessern. Das gilt auch für andere Bereiche. So haben wir in der Kommunikation wir zum Beispiel unseren Geschäftsbericht und die Mitarbeiterzeitung digitalisiert. Gedruckt wird hier nicht mehr.

Sie haben eben Ihr Großprojekt, den Kraftwerksneubau „Kessel 13“, angesprochen. Ende dieses Jahres soll Ihre zweite Gas- und Dampfturbinenanlage in Betrieb genommen werden. Wie ist hier der Stand?

Dr. Dirk Wernicke: Aus heutiger Sicht sind wir im Plan. Gerade in Zeiten von Corona und der angespannten Beschaffungssituation ist das eine große Leistung aller beteiligten Firmen und Mitarbeitenden. Wir wollen den „Kessel 13“ in der zweiten Jahreshälfte in Betrieb nehmen. Er wird zwei weitere Kohlekessel ersetzen. Insgesamt werden wir mit dem Übergang von Kohle auf Erdgas durch „Kessel 12“ und „Kessel 13“ unsere CO2-Emissionen bei gleicher Erzeugungsmenge um 40 Prozent senken. Dafür haben wir insgesamt 225 Millionen Euro investiert. Das unterstreicht, wie groß die Herausforderungen in den kommenden zwanzig Jahren bei der Reduktion der verbleibenden 60 Prozent sein werden. Wenn verfügbar und wirtschaftlich tragbar, können wir in „Kessel 12 und 13“ Wasserstoff einsetzen. Alle uns bekannten Studien und Prognosen gehen davon aus, dass dies großtechnisch nicht vor Ende der 2030er Jahre der Fall sein wird.

Die Energiepreise in Deutschland sind 2021 so stark gestiegen wie nie und ziehen weiter an. Verbraucher wie Unternehmen leiden unter den hohen Belastungen. Herr Dr. Wernicke, wie gehen die Stadtwerke Flensburg mit dieser Situation um?

Dr. Dirk Wernicke: Innerhalb weniger Monate vervielfachte sich der Großhandelspreis für Erdgas auf ein historisches Allzeithoch. Die Preise für Erdgas, Strom, CO2 und Kohle haben sich seit Oktober 2020 mehr als verdop-
pelt und auch danach kannten sie nur eine Richtung: Nach oben! Einen derart hohen Kostensprung hatten wir noch nie. Die Preisentwicklung für CO2 ist ja politisch gewollt, die Steigerung der Beschaffungspreise waren in diesem Ausmaß nicht planbar. Das führte in unserem Kraftwerk zu massiv gestiegenen Produktionskosten für Strom und Fernwärme. Wie nahezu alle Energieversorger mussten auch wir die Preise anpassen und haben dies für die Fernwärme im November 2021 und im April 2022 umgesetzt. Wir haben beide Male ganz bewusst nur einen Teil der Kostensteigerungen an unsere Kunden vor Ort weitergegeben und auf Gewinn verzichtet. Und auch unseren Grundversorgungstarif für Strom in der Region Flensburg haben wir nur relativ moderat
angepasst.

Die Beschaffungssituation ist wohl der Grund, warum Anfang dieses Jahres viele Stromanbieter Neukunden abgelehnt haben. Wie haben Sie sich hier aufgestellt und wie erfolgreich sind Sie vertrieblich?

Dr. Dirk Wernicke: Wir sind vertrieblich sehr erfolgreich. Unsere Kunden in ganz Deutschland spiegeln uns zurück, dass sie uns auch in Zeiten steigender Preise als modernen, zuverlässigen und vor allem fairen Anbieter wahrnehmen. Wir konnten Kundenzuwächse in 2021 bei Privat- und Geschäftskunden trotz aller Widrigkeiten am Markt verzeichnen. Unsere Zielkundenzahl 2021 haben wir erreicht, dabei setzen wir inzwischen fast 90 Prozent unseres Stroms an Kunden außerhalb der Region ab.

Anfang 2022 gab es eine Sondersituation extrem volatiler Energiemärkte. Unter diesen Bedingungen haben viele Anbieter, darunter auch wir, zeitweise keine Angebote für Neukunden machen können. Es war einfach keine seriöse Kalkulation möglich. Den Grundversorgungstarif für die Kunden in unserer Heimatregion Flensburg haben wir zu jeder Zeit angeboten und keinen Kunden abgelehnt, der zu uns wechseln wollte. Zeitweise waren wir der günstigste Anbieter vor Ort. Für einen Grundversorgungstarif eine eher ungewöhnliche Konstellation. Einen zweiten Grundversorgungstarif haben wir nicht eingeführt und alle Kunden, die aufgrund schwer nachvollziehbarer Geschäftspraktiken einiger Discounter in die Ersatzversorgung gezwungen wurden, zum gleichen Preis versorgt wie unsere langjährigen Bestandskunden.

Das Geschäftsgebaren einiger Stromdiscounter, die ihren Kunden gekündigt und die Versorgungspflicht so an die Grundversorger delegiert haben, können wir nicht nachvollziehen. Ob dies für diese Anbieter ohne Folgen bleiben wird, müssen andere entscheiden.

Welchen Ausblick können Sie für das kommende Geschäftsjahr oder sogar darüber hinaus geben?

Dr. Dirk Wernicke: Die Energiemärkte bewegen sich nach wie vor auf einem sehr hohen preislichen Niveau. Der Krieg in der Ukraine und die Unsicherheit der Lieferungen aus Russland sind Preistreiber an den Energiemärkten und werden lange nachwirken. Das kann jeder täglich an der Tankstelle sehen. Auch die Preise für CO2-Zertifikate erreichen regelmäßig neue Höchststände und werden sich weiter verteuern, wie politisch gewollt. Wir befürchten, dass sich das hohe Beschaffungspreisniveau stabilisieren wird. Dann bleiben auch die
Verbraucherpreise auf einem hohen Niveau.

Wir werden weiter an der Umsetzung unserer Strategie „SWFL 21.x: Kurs grün + digital“ arbeiten und den Transformationspfad für eine dekarbonisierte Energieerzeugung konkretisieren.

In 2022 wollen wir den Transformationspfad quasi als Masterplan zur Klimaneutralität erarbeiten und verbindlich stehen haben. Nach dem ersten Elektroheizkessel mit Wärmespeicher, der GuD-Anlage „Kessel 12“, dem zweiten Elektroheizkessel mit Wärmespeicher und der zweiten GuD-Anlage „Kessel 13“ läuft bereits die Vorplanung für den nächsten Schritt: Eine Großwärmepumpe auf Basis von Power-to-heat.